Donnerstag, 29. März 2012
„You must remember this …“
Aus der Diaspora
Henstedt-Ulzburg: „Das ist kein Jim Beam.“ Mit diesen Worten goss der kleine Flegel, den uns die Werbung damals als unwahrscheinlich cool verkaufte, den Inhalt seines Glases auf den Tresen und verschwand. Die Szene war jahrelang irgendwo in meinem Gedächtnis verschüttet, bis sie heute mal wieder beim Bewusstsein vorstellig wurde.

Ein Stapel Kartons eben jener Flaschen war im hiesigen Supermarkt um ein Motorrad drapiert worden. Große Banner versprachen drei glücklichen Gewinnern je eine original Harley Fat Boy. Bei dem anwesenden Chopper handelte es sich um eine runtergerockte Yamaha. Meine Überlegungen, welche Flegeleien ich mit den Worten „Das ist keine Harley Davidson“ begehen könnte, waren vorm Ladenschluss leider noch nicht beendet.

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Das Tentakelmonster aus Zimmer 45
Aus der Diaspora
Witzhave: Etwas geht vor in diesem abgelegenen Hotel nahe der Autobahn. Wellige Arme, Staubsaugerschläuchen gleich, zwängen sich durch die Tür von Zimmer 45 und breiten sich auf dem davor liegenden Flur aus. Nur von dünnen Streifen Klebeband gebündelt, die keinem ernsthaften Befreiungsversuch widerstehen würden. Aus dem Zimmer ein unablässiges Rauschen. „Wasserschaden“ meint die Hotelchefin lapidar, als wir Montagabend einchecken. Mein Misstrauen ist geweckt.

Wir kommen in Frieden.

Dienstagmorgen setzen die Ereignisse sich fort. Nach einer Nacht, die zu friedlich für die sonstigen Ereignisse war, treffe ich meinen Kollegen beim Frühstück wieder. Er spricht mit fremder Zunge und immer wieder streut er unverständliche Worte und Redewendungen ein. Panik versucht sich meiner zu bemächtigen. Ich beruhige mich mit dem Mantra: „Er ist Bayer, die reden halt so.“ Dann erhebt der Südländer sich mit der Bemerkung, sich mit ein paar Vitaminen zu versorgen. Ich rechne nicht damit ihn wieder zu sehen. Zwei Minuten später ist er zurück. (Die Doppelgängerprüfung steht noch aus.) Auf seinem Teller: eine Portion Mett! Wahrscheinlich Multivitaminmett. Welcher wahnsinnige Wissenschaftler mag in der Waschküche wirken, um wehrlose Wesen in Multivitaminmett zu verwandeln? Wahrscheinlich der Bruder und Onkel des Inhabers.

Dienstagnachmittag hat es mich erwischt. Ich war vorsichtig, hatte aber unterschätzt, wie weite Kreise die Verschwörung zieht. So wurde ich Opfer eines bizarren Zeitbeschleunigungsexperiments. Ich hatte mich für fünf Minuten hingelegt und erwachte dreieinhalb Stunden später. Die Zeitkapsel hatte ich sogar freiwillig genommen. Die, wie ich mir jetzt sicher bin, eingeweihte Apothekerin hatte sie mir als Kopfschmerztablette verkauft. Wo kamen die Kopfschmerzen her? War es wirklich nur die schlechte Luft? Oder spricht der „Kollege“ gar kein Bayrisch sondern sendet Signale aus, die meine Gedankenmatrix stören? Diskutiere das beim Abendessen mit einem Hotelgast aus. Er heißt Fox Mulder und glaubt nicht an Außerirdische. Als sich unsere Wege trennen, summt er so etwas wie „Let’s do the time warp again“.

Mittwochmorgen. Stille in Zimmer 45. Schlaff liegen die Tentakel am Boden. Hat man das Monster zur Ruhe gebracht, weil sich mein Misstrauen herumsprach? Oder hat es die Schlachtreife erreicht und ist nun bereit, zu Multivitaminmett verarbeitet zu werden? Genährt von einer ausreichenden Zahl von Hotelgästen? Deren verschwinden sich mit einem lapidaren „Abgereist“ nur allzu leicht verbergen lässt? Nach dem Frühstück erklingt wieder die bekannte Geräuschkulisse aus Zimmer 45. Hier geht definitiv etwas vor. Im Bewusstsein des Risikos, verbringe ich mit dem Bayern den Abend in Hamburg.

Donnerstagmorgen: Irgendwann hat mir jemand mit stumpfer Reißnadel folgende Anweisung ins Y-Chromosom geritzt: „6:00 Uhr: Augen auf!“ Wenig später breche ich zu einem Morgenspaziergang auf, der mich zu einer etwas außerhalb gelegenen Siedlung führt. Verstreute Häuser die sich im Wald verstecken. Gleich jenen der Raketenforscherr von Peenemünde im zweiten Weltkrieg. Aber was sollten Wissenschaftler in dieser Einöde? Wo es nur ein abgelegenes Hotel nahe der Autobahn gibt?

Beim Frühstück bin ich noch nicht ganz Herr meiner Sinne. Trotzdem möchte ich meinen Teil dazu beitragen, dass man mich freudig verabschiedet. Der Abdruck des Teebeutels auf der Tischdecke, als auch jener der Gurkenscheibe am Boden, sollen dazu beitragen. Und wer selber Spuren hinterlässt, kann nicht spurlosverschwinden …

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Morgenandacht
Aus der Diaspora
Henstedt-Ulzburg: Wie dünn der Firnis der Zivilisation, der unser aller Neandertaler bedeckt und unsere Gesellschaft zusammen hält, in Wirklichkeit ist, verdeutlicht mir mal wieder der schäbige, billige, aufwendig gegen Diebstahl gesicherte Radiowecker in meinem Hotelzimmer.

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