Sonntag, 31. Juli 2011
Redhair Mountains*
Aus der Diaspora
Feudingen (Sonntag): Es ist zu früh. Und doch schon spät. Die schieferverkleideten Häuser ducken sich links und rechts der Straße, die nicht ganz den Talgrund markiert, unter der Dämmerung. Der Himmel ist grau und der Regen hat die Häuser noch dunkler getönt. Ich überlege eine Marschkapelle in Clownskostüme zu stecken, um etwas Farbe um mich zu haben. Doch bereits hundert Meter die Straße hinunter würden sie sich in die grauen Herren aus Momo verwandeln, ob dessen perfekt mit dem Hintergrund verschmelzen und Opfer eines Lastwagens werden, weil der Fahrer sie schlicht übersehen hat.

In Feudingen stelle ich fest, dass im Ortsnamen kein „r“ vergessen wurde. Die heutige Fahrradgroßveranstaltung wurde vom Regen restlos fortgewaschen. Mit der großen Balkontür habe ich den Eindruck in einer Bärenhöhle aus dem Landhausmöbelkatalog (Seiten 94 – 118: honigfarbene Eiche, rustikal) zu schlafen. Winterschlaf zu halten. Objektiv gesehen ist das Hotel sehr gut. Mir ist nicht nach objektiv.

Netphen – Lahnhof (Montag): Was nach Sozialkundelehrerin und Stadtratskandidatin klingt ist der Quellort der Lahn. Ein moosbedeckter Tümpel, dem ich das auf den umstehenden Infotafeln beschriebene Leben einfach nicht abnehme. Unter dem Spülkastendeckel in Zimmer 314 im Atlantic Hotel in Queens Gardens, London sah es Anno 1989 nicht anders aus.

Wo auch Wasserballer Rasenschach spielen können.

Ich bin dem Lahntalradweg hierher gefolgt und habe festgestellt, was die fetten Doppelpfeile auf der Fahrradkarte in natura bedeuten. Auch im weiteren Verlauf meiner Tour über Banfe und Bad Laasphe stelle ich fest, dass diese Gegend nicht unbedingt zum Radfahren geschaffen ist. Oder ich bin nicht zum Radfahren in dieser Gegend geschaffen. Wobei die Wahrheit, wie immer, irgendwo dazwischen liegen wird. Wenn auch sehr dicht an der zweiten Aussage.

Die rauschenden Abfahrten lassen die steilen, vielfach geschobenen, Anstiege schnell wieder vergessen. Dafür bringen sie in Erinnerung, dass man schon lange mal schauen wollte, wie eigentlich die Bremsbeläge aussehen. Wie üblich nimmt mit zunehmender Erschöpfung zuerst die Fähigkeit ab Hinweisschilder zu lesen. Was mir etliche überflüssige Höhenmeter einbringt.

Den Planetenlehrpfad verstehe ich nicht. Überall wo ich hinkomme ist Sonne und Pluto ist trotz Hinweisschildern nicht zu finden. Aber schon Douglas Adams meinte, dass das Universum sehr kompliziert sei und ich habe kein Handtuch dabei.

Der Eroberung des Weltalls steht nichts mehr im Wege.

Dabei hatte es anfangs gar nicht nach Fahrrad ausgesehen. Ein unwiderstehlicher Nordwind hatte mich ans Hotelsofa gefesselt. Und obwohl es eine Unterschenkellänge zu kurz ist, brauchte ich mehrere Anläufe ihm zu entkommen.

Feudingen (Dienstag): Nichts geht. Winterschlaf ein bisschen.

Bad Laasphe(Mittwoch): Ja nuschel ich denn?

„Gibt es den Dönerteller auch mit Reis?“
„Mit Glas?“
„Mit Reis.“
„Was ist das?“
„Das weiße Zeug das die Chinesen essen.“
„Nein“
Das war alles was er herausbrachte. Seine Augen sagten aber noch einiges mehr. Meine feuchte Hose mag dazu beigetragen haben. Er konnte ja nicht wissen, dass sie von einer Radtour im Regen stammte. Ich habe dann einen einfachen Döner bestellt und einen Dönerteller bekommen. Aber der Spaß war‘s wert.

Nachdem ich an der Sonne war, habe ich jetzt den Planetenlehrpfad verstanden. Pluto ist halt ewig weit weg. Auf dem Merkur dauert ein Tag etwa zwei Erdenjahre. Da freut man sich dann doch aufs Wochenende. Was ich nicht verstehe ist, dass die Tür des Industriemuseums, neben der Eingang steht, mit „Vorsicht Lebensgefahr“ beschriftet ist.

Einladend.

Der Klimawandel schreitet voran. An einem Weiher steht ein Schild, das vor dem Betreten der Eisfläche warnt. In diesem Juli keine überflüssige Warnung. Sogar Pinguinen begegne ich. Die gehören aber zu einer Altenresidenz, die stark an den Seniorenstift am Höcklager Industrieweg (Bitte bei Stenkelfeld nachschauen) erinnert.

Mit Herbie folge ich dem Lahntalradweg. Es geht entlang der Lahn und der sie begleitenden Bahnstrecke durch Felder und Wälder. Auch wenn ich gelegentlich den Oberförster zitiere („Lieber Berg, jetzt hat mein Fahrrad keine Gänge mehr.“) ist die Strecke herrlich. Am Bahnhof Buchenau unterhalten sich die Eisenbahner über den Regen, der von Marburg kommt. Ich beglückwünsche mich zu meinem vorher gefassten Entschluss hier umzukehren. Ein Blick zurück zeigt mir aber, zu spät. Der Himmel ist von einer silbrig grauen Gardine verhangen. Ich versuche dem Regen davon zu fahren. Weite Strecken fliege ich im höchsten Gang nach Westen. Doch schon vor dem Start stand der Verlierer dieses Wettrennens fest.

Sehr einladend

So kam es, dass ich mit feuchter Buxe im Dönerladen stehe und niemand mich versteht.

Feudingen (Donnerstag): Man schmückt das Dorf fürs nahende Schützenfest. Und Feudingen ist eindrucksvoll Dorf. Der Edeka ist mittwochnachmittags geschlossen und alte Möbel werden einfach aus dem Fenster geworfen, da niemand da ist den man treffen könnte. Die Wimpelkette ist an die erste Dachrinne geknotet und auf dem Weg über die Straße. In deren Mitte stellt man fest, dass die Schnur völlig verfuddelt ist. Hingebungsvoll wird entwirrt und entknotet, während sich beiderseits ein Verkehrsknoten bildet. Der Treckerfahrer in der ersten Reihe nimmt es mit stoischer Gelassenheit, ist ja fürs Schützenfest. Und irgendwann geht es auch weiter.

Das Wittgensteiner Land ist, so abgelegen es ist, von Straßen durchzogen. Auch wenn manche den Namen nicht unbedingt verdienen. Durch enge Kehren geht es auf schmaler Fahrbahn und brüchigen Asphalt auf und ab. Eine Bergziege würde kopfschüttelnd davor stehen bleiben. Und irgendwo im Nirgendwo, von Bäumen verborgen und von keiner Werbetafel verraten steht eine unscheinbare Holzbude. Hier wird die großartigste Currywurst Wittgensteins geschmiedet. Noch fehlen mir allerdings die Vergleichsmöglichkeiten.

Heute ist Haushaltsauflösung. Morgen geht es heim.

Olpe (Freitag): Ich bin kilometerweite Umwege gefahren weil die Straße die Montag noch frei war heute gesperrt ist. Ich bin hinter Autos her gezockelt, deren Fahrer sechzig für eine großartige Geschwindigkeit halten, egal wo. Stand an jeder Ampel und hinter Menschen die erst abbiegen, wenn bis zum Horizont alles frei ist. Habe Busse, LKW und Trecker bewundert, vornehmlich von hinten. Und nun staue ich mich durch Olpe und im Radio läuft Bring mich nach Hause von Wir sind Helden. Amen.

Stunden später bin ich da und frage mich, was ich hier will.

*Muss man eigentlich eine Quelle angeben, wenn man sie nicht mehr verlinken kann?

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