Mittwoch, 16. November 2011
Für die Historiker der Zukunft
Aus der Diaspora
Braunschweig: Im Dokumentarfilm „Demolition Man“ ist die Rede von den großen Franchise-Kriegen, aus den Pizza Hut als Sieger hervorgehen wird. Sie haben bereits begonnen.

Provokation

Angeblich soll nächstes Jahr die Ausbildung zum Systemgastronom (m/w) um das Fach „Allgemeine Sprengstoffkunde“ erweitert werden.

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Intelligente Technik
Aus der Diaspora
Braunschweig: Beim Einschalten erklärt der Hotelfernseher, dass er sich im Modus „Geschäft“ befindet. Nach Sichtung des laufenden Programms nehme ich an, es handelt sich sogar um den Modus „großes Geschäft“.

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Donnerstag, 27. Oktober 2011
Die Poesie der Straße
Aus der Diaspora
Köln: Die Sonne quetscht sich hinter dem Horizont hervor. Da sie bereits knapp über die Hälfte geschafft hat, erwarte ich fast, dass die mit lautem „Fummp“ in den Himmel springt. Tieforange überzeugt sie mich, dass sie ein riesiger Feuerball ist. Langsam schiebt sich der Kölner Dom vor die glühende Scheibe. Quasi im Röntgenbild ist zu erkennen, wie filigran die beiden Turmhauben wirklich sind. Beinahe zerbrechlich. Sonst wirken sie wie riesige, schwarze Reißzähne, die in den Himmel ragen. Manchmal ist zähfließender Verkehr schön.

Nachtrag: Den letzten Satz hatte ich wahrscheinlich zu laut gedacht. So wollte jede, wirkliche jede Straße, mich aus inniger Zuneigung möglichst lange bei sich behalten. Was dazu führte, dass ich von Aachen in die westfälische Heimat etwa 3 ½ Stunden benötigte. Manchmal sollten Straßen viel menschlicher sein.

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Sonntag, 18. September 2011
Essen mit Musik
Aus der Diaspora
Essen: Da ich auf die Frage des Navigators „Haste Freitag was vor?“ mit „Halbwegs“ antwortete änderte sich dieser Status schlagartig auf „ja“. Halb acht schlagen wir bei Essen Original auf. Da gibt es auf sechs Bühnen Musik umsonst und draußen. Auf der Schlagerbühne finden wir einen Parkplatz. Naja, zumindest sehr nah dran.

Da uns die im Programm ausgewiesenen Akteure nichts sagen, gehen wir nach dem einfachen Prinzip vor: „Wenn’s gut ist bleiben wir, wenn nicht ziehen wir weiter.“ Deshalb lassen wir die Schlagerbühne, trotz wehmütigem Blick des Navigators, sofort links liegen. Als nächstes stoßen wir auf SKAW FLOAT. Und bleiben. Nach drei Stücken sind sie durch. Wir ziehen weiter. Der Plan scheint aufzugehen.

SKAW FLOAT

Auf der Comedybühne liegen zwei Musikclowns in den letzten Zügen. Sie hätten bei der Musik bleiben sollen. Der Ansager ist nur lustig wenn er Elvis Eifel wird. Der Rest ist Dorfkarneval. Weiter!

Durch ein Dimensionsportal landen wir in einer Paralleldimension. Wir sind umgeben von jungen Menschen die mit Schläuchen, Koffergurten und Schweißerbrillen bekleidet sind. Als ihre Königin identifizieren eine Mischung aus Paris Hilton und Sailor Moon. Ihre Frisur wird von drei Dosen Haarfestiger und einer vom Statiker geforderten Unterkonstruktion aus Styropor in Form gehalten. Treibende Beats wummern von der „Darc Electro“ Bühne und versetzen die seltsamen Gestalten in rhythmische Zuckungen. Man konzentriert sich auf die Schrittfolgen wie Mitglieder eines Trachtentanzvereins. Dann verschiebt sich die Atmosphäre ein Stückchen und alles ergibt plötzlich einen Sinn. Wir stehen inmitten des bunten Völkchens und machen uns über die Träger von Wolfstatzenjacken lustig.

Nebenan auf der „Hardrock & Metal“ Bühne ist Umbaupause. Also weiter zur Schlagerbühne. Chris Roberts sagt selbst mir was. Dem Navigator auch, nämlich: „Weiter!“.

Durch „unkonventionelle Wegewahl“ stehen wir auf einmal vor der Ethnobühne. Wenige Minuten später beschließen wir, der internationalen Völkerverständigung mit dem Verzehr eines Döners mehr zu dienen.

Die Comedy Bühne erhält ihre zweite Chance. Die Musikclowns sind noch einmal dran. Auch unser Urteil ist wieder das gleiche.

Die Nachfolger von SKAW FLOAT auf der Nachwuchsbühne überzeugen uns auch nicht. So landen wir wieder bei „Dark Electro“ und haben viel Spaß, wenn auch weniger an der Musik. Komme zu dem Ergebnis, dass das tanzende Volk sich im normalen Leben aus Sparkassenangestellten aus der Provinz zusammensetzt.

Bei „Hardrock & Metal“ ist mal wieder Umbaupause. Diesmal harren wir aus und werden für diese Entscheidung auch nicht belohnt. Mit Kontrabass, Stromgitarre und Collegejacken sind sie sehr Rockabilly. Mit den Frisuren wurden in der Antike griechische Galeeren gerammt und versenkt. Die Musik kann da nicht mithalten.

Durch die sich auflösende Veranstaltung steuern wir erst aufs Auto zu und dann in Richtung Heimat. Ein gelungener Abend.

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Montag, 29. August 2011
Stille Täler sind tief…
Aus der Diaspora
Bremke: Mit Quasimodo rolle ich durchs Sauerland. Man merkt dem Sonntag bereits an, dass das Wochenende bald vorbei ist. In Bremke bemerke ich rechter Hand vor mir einen Imbiss. Was auf der gegenüberliegenden Straßenseite an der Laterne steht kann ich noch nicht erkennen. Was ich für eine Werbefigur oder das maßstäbliche Modell eines Dönerspießes halte ist keins von beiden. Beim Näherkommen erkenne ich zuerst die Pappschachtel und –rolle am Boden. Beides enthielt bis vor kurzem etliche Meter Frischhaltefolie, mit der nun ein junger Mann an die Laterne gefesselt ist. Man hat ihn von den Füssen bis zum Hals eingewickelt und die Straßenbeleuchtung gleich mit einbezogen. „Man“ besteht aus fünf Personen verschiedenen Geschlechts und hält sich an Bierflaschen fest, um nicht vor Lachen umzufallen.

Ein Foto zu machen versäume ich leider, zu tief bin ich wieder der Frage nach dem „Warum“ verhaftet. Handelte es sich vielleicht um ein Initiationsritual, wie es sie nur bei von der Zivilisation überrollten Bergvölkern geben kann? Hinweisschilder auf eine Fetischmesse konnte ich keine entdecken. Oder war der Vater des Jungen Mannes der Anstifter, um sich mal der Haarpracht seines langhaarigen Sohnes anzunehmen? Auf zukünftige ethnologische Expeditionen hoffend rolle ich in den Sonnenuntergang.

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Sonntag, 31. Juli 2011
Redhair Mountains*
Aus der Diaspora
Feudingen (Sonntag): Es ist zu früh. Und doch schon spät. Die schieferverkleideten Häuser ducken sich links und rechts der Straße, die nicht ganz den Talgrund markiert, unter der Dämmerung. Der Himmel ist grau und der Regen hat die Häuser noch dunkler getönt. Ich überlege eine Marschkapelle in Clownskostüme zu stecken, um etwas Farbe um mich zu haben. Doch bereits hundert Meter die Straße hinunter würden sie sich in die grauen Herren aus Momo verwandeln, ob dessen perfekt mit dem Hintergrund verschmelzen und Opfer eines Lastwagens werden, weil der Fahrer sie schlicht übersehen hat.

In Feudingen stelle ich fest, dass im Ortsnamen kein „r“ vergessen wurde. Die heutige Fahrradgroßveranstaltung wurde vom Regen restlos fortgewaschen. Mit der großen Balkontür habe ich den Eindruck in einer Bärenhöhle aus dem Landhausmöbelkatalog (Seiten 94 – 118: honigfarbene Eiche, rustikal) zu schlafen. Winterschlaf zu halten. Objektiv gesehen ist das Hotel sehr gut. Mir ist nicht nach objektiv.

Netphen – Lahnhof (Montag): Was nach Sozialkundelehrerin und Stadtratskandidatin klingt ist der Quellort der Lahn. Ein moosbedeckter Tümpel, dem ich das auf den umstehenden Infotafeln beschriebene Leben einfach nicht abnehme. Unter dem Spülkastendeckel in Zimmer 314 im Atlantic Hotel in Queens Gardens, London sah es Anno 1989 nicht anders aus.

Wo auch Wasserballer Rasenschach spielen können.

Ich bin dem Lahntalradweg hierher gefolgt und habe festgestellt, was die fetten Doppelpfeile auf der Fahrradkarte in natura bedeuten. Auch im weiteren Verlauf meiner Tour über Banfe und Bad Laasphe stelle ich fest, dass diese Gegend nicht unbedingt zum Radfahren geschaffen ist. Oder ich bin nicht zum Radfahren in dieser Gegend geschaffen. Wobei die Wahrheit, wie immer, irgendwo dazwischen liegen wird. Wenn auch sehr dicht an der zweiten Aussage.

Die rauschenden Abfahrten lassen die steilen, vielfach geschobenen, Anstiege schnell wieder vergessen. Dafür bringen sie in Erinnerung, dass man schon lange mal schauen wollte, wie eigentlich die Bremsbeläge aussehen. Wie üblich nimmt mit zunehmender Erschöpfung zuerst die Fähigkeit ab Hinweisschilder zu lesen. Was mir etliche überflüssige Höhenmeter einbringt.

Den Planetenlehrpfad verstehe ich nicht. Überall wo ich hinkomme ist Sonne und Pluto ist trotz Hinweisschildern nicht zu finden. Aber schon Douglas Adams meinte, dass das Universum sehr kompliziert sei und ich habe kein Handtuch dabei.

Der Eroberung des Weltalls steht nichts mehr im Wege.

Dabei hatte es anfangs gar nicht nach Fahrrad ausgesehen. Ein unwiderstehlicher Nordwind hatte mich ans Hotelsofa gefesselt. Und obwohl es eine Unterschenkellänge zu kurz ist, brauchte ich mehrere Anläufe ihm zu entkommen.

Feudingen (Dienstag): Nichts geht. Winterschlaf ein bisschen.

Bad Laasphe(Mittwoch): Ja nuschel ich denn?

„Gibt es den Dönerteller auch mit Reis?“
„Mit Glas?“
„Mit Reis.“
„Was ist das?“
„Das weiße Zeug das die Chinesen essen.“
„Nein“
Das war alles was er herausbrachte. Seine Augen sagten aber noch einiges mehr. Meine feuchte Hose mag dazu beigetragen haben. Er konnte ja nicht wissen, dass sie von einer Radtour im Regen stammte. Ich habe dann einen einfachen Döner bestellt und einen Dönerteller bekommen. Aber der Spaß war‘s wert.

Nachdem ich an der Sonne war, habe ich jetzt den Planetenlehrpfad verstanden. Pluto ist halt ewig weit weg. Auf dem Merkur dauert ein Tag etwa zwei Erdenjahre. Da freut man sich dann doch aufs Wochenende. Was ich nicht verstehe ist, dass die Tür des Industriemuseums, neben der Eingang steht, mit „Vorsicht Lebensgefahr“ beschriftet ist.

Einladend.

Der Klimawandel schreitet voran. An einem Weiher steht ein Schild, das vor dem Betreten der Eisfläche warnt. In diesem Juli keine überflüssige Warnung. Sogar Pinguinen begegne ich. Die gehören aber zu einer Altenresidenz, die stark an den Seniorenstift am Höcklager Industrieweg (Bitte bei Stenkelfeld nachschauen) erinnert.

Mit Herbie folge ich dem Lahntalradweg. Es geht entlang der Lahn und der sie begleitenden Bahnstrecke durch Felder und Wälder. Auch wenn ich gelegentlich den Oberförster zitiere („Lieber Berg, jetzt hat mein Fahrrad keine Gänge mehr.“) ist die Strecke herrlich. Am Bahnhof Buchenau unterhalten sich die Eisenbahner über den Regen, der von Marburg kommt. Ich beglückwünsche mich zu meinem vorher gefassten Entschluss hier umzukehren. Ein Blick zurück zeigt mir aber, zu spät. Der Himmel ist von einer silbrig grauen Gardine verhangen. Ich versuche dem Regen davon zu fahren. Weite Strecken fliege ich im höchsten Gang nach Westen. Doch schon vor dem Start stand der Verlierer dieses Wettrennens fest.

Sehr einladend

So kam es, dass ich mit feuchter Buxe im Dönerladen stehe und niemand mich versteht.

Feudingen (Donnerstag): Man schmückt das Dorf fürs nahende Schützenfest. Und Feudingen ist eindrucksvoll Dorf. Der Edeka ist mittwochnachmittags geschlossen und alte Möbel werden einfach aus dem Fenster geworfen, da niemand da ist den man treffen könnte. Die Wimpelkette ist an die erste Dachrinne geknotet und auf dem Weg über die Straße. In deren Mitte stellt man fest, dass die Schnur völlig verfuddelt ist. Hingebungsvoll wird entwirrt und entknotet, während sich beiderseits ein Verkehrsknoten bildet. Der Treckerfahrer in der ersten Reihe nimmt es mit stoischer Gelassenheit, ist ja fürs Schützenfest. Und irgendwann geht es auch weiter.

Das Wittgensteiner Land ist, so abgelegen es ist, von Straßen durchzogen. Auch wenn manche den Namen nicht unbedingt verdienen. Durch enge Kehren geht es auf schmaler Fahrbahn und brüchigen Asphalt auf und ab. Eine Bergziege würde kopfschüttelnd davor stehen bleiben. Und irgendwo im Nirgendwo, von Bäumen verborgen und von keiner Werbetafel verraten steht eine unscheinbare Holzbude. Hier wird die großartigste Currywurst Wittgensteins geschmiedet. Noch fehlen mir allerdings die Vergleichsmöglichkeiten.

Heute ist Haushaltsauflösung. Morgen geht es heim.

Olpe (Freitag): Ich bin kilometerweite Umwege gefahren weil die Straße die Montag noch frei war heute gesperrt ist. Ich bin hinter Autos her gezockelt, deren Fahrer sechzig für eine großartige Geschwindigkeit halten, egal wo. Stand an jeder Ampel und hinter Menschen die erst abbiegen, wenn bis zum Horizont alles frei ist. Habe Busse, LKW und Trecker bewundert, vornehmlich von hinten. Und nun staue ich mich durch Olpe und im Radio läuft Bring mich nach Hause von Wir sind Helden. Amen.

Stunden später bin ich da und frage mich, was ich hier will.

*Muss man eigentlich eine Quelle angeben, wenn man sie nicht mehr verlinken kann?

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Montag, 11. Juli 2011
Gute Nacht
Aus der Diaspora
Extraschicht am Band

Castrop-Rauxel: Jonglage ist eine alte Kunst, mit der schon mittelalterliche Gaukler ihr Publikum zu unterhalten wussten. Das in die Luft werfen und fangen von Gegenständen ist noch immer bewundernswert, doch das Spiel mit der Schwerkraft bildet hauptsächlich den Rahmen für allerlei Scherze. Dieser Clown hält sieben Bälle in Händen und kündigt an: „Jetzt für die Erwachsenen: Neun Bälle in der Luft!“ Anschließend springt er einmal hoch. Der Navigator und ich werden ihn diese Nacht noch häufiger zitieren.

Bademodenschau Anno 1894

Die artistische Beckenbodenübung bildet den Auftakt für die Fortsetzung einer jahrzehntealten Tradition, die heute in die dritte Runde geht: Extraschicht. (Für alle die sie nicht kennen: Heute sind überall im Ruhrgebiet zwischen 18.00 Uhr abends und 2.00 Uhr morgens ehemalige Fabrikanlagen und sonstige Kulturbetriebe geöffnet. Während dessen finden allerlei Darbietungen statt.) Wir beginnen unsere Nacht im Parkbad Süd. Kein klassischer Industriebetrieb, aber man feiert inzwischen zehnjähriges Bestehen als Kulturstätte. Böse Zungen behaupten wir würden hier starten, weil es Kuchen für umsonst gibt.

Während der Clown am Boden des ehemaligen Schwimmbeckens mit seinen Bällen spielt, gibt es auf der Liegewiese die Ausstellung „Besetzt“. Dafür wurden etwa zwei Dutzend Mobilklos aufgestellt, in denen es allerlei Wissenswertes zum Thema gibt. Als ich eine der Kabinen öffne, ist bereits besetzt. Reflexartig schließe ich die Tür, die aber gleich wieder auffliegt. „Kommen ‚se ruhig rein. Ist Platz genug.“ Finde ich für die Örtlichkeit, oder besser: das Örtchen, dann doch unpassend.

Bochum: Wer beim Bochumer Verein an den VfL denkt, liegt leider daneben. Hier ist der Andrang größer als bei einem der Heimspiele, hier bebt die Erde! In der Radreifenschmiede hat man eine Extraschicht eingelegt und produziert auch diese Nacht. Durch das offene Hallentor beobachten wir, wie der Schmiedehammer auf den glühenden Stahl saust. Und spüren es in unseren Füssen. Um uns das aus der Nähe zu besehen, müssten wir uns in die hundert Meter lange Schlange einreihen. Da noch mehr lockt, ziehen wir weiter.

Unplattbare Reifen

Mit der nahen Jahrhunderthalle haben wir noch keinen Frieden geschlossen und lassen sie links, rechts, links liegen. Stattdessen besichtigen wir den örtlichen EDEKA. Die Wanddekoration zeigt alles, was man vom Ruhrgebiet zu kennen glaubt. Anschließend diskutieren wir über Menschenwürde und geschlossene Kassensysteme, also wo die Kassiererinnen kein Geld anfassen dürfen, und die gute alte Zeit, als es im Aldi noch keine Scannerkassen gab.

Essen: Das Zentrum des kulturellen Universums im Ruhrgebiet heißt: Zollverein. Wir nähern uns dem Komplex von der Kokerei her. Und zu Fuß. Viel zu Fuß. Parkplätze sind rar und schon gar nicht vor der Tür. Aber wir wussten ja, auf welche Nachtwanderung wir uns einlassen. Die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ist zwar kostenlos, aber wegen totaler Überfüllung keine Alternative.

Essen im Dunkeln   (c)Navigator

Auf den langen Werksstraßen tobt etwas, was ich spontan mit Monty Python’s Flying Circus tituliere. Von weitem ist ein lautsprecherverstärktes Kauderwelsch aus Englisch, Deutsch und Russisch zu hören, unterlegt von Motorengebrumm. Drei recht skurrile Flugmaschinen drehen unter Einsatz von reichlich Feuer und Pyrotechnik ihre Runden. Echt faszinierend in der einbrechenden Dunkelheit. Durch lautstarke Böller und diverse Scharniere wird die Explosion der Luftflotte angedeutet. Am Ende der Vorstellung zündet man heimtückisch eine Konfettibombe um mit Hilfe des Propellers das herbeiströmende Publikum zu panieren.

Komm, wir fahrn mit Feuerrädern richtung Zukunft durch die nacht...   (c) Navigator

Als wir zum Zechengelände hinüber schlendern kommen wir aufs Wetter. In T-Shirt und kurzer Buxe ist es immer noch angenehm warm. „Wenn Engel reisen…“ kommt es vom Navigator. „Ja“ antworte ich, „es müssen wirklich welche unterwegs sein.“ Später rollen wir durch Essen, die Ellenbogen im offenen Seitenfenster von einem lauen Lüftchen umweht. Ich lege die passende Musik auf, und sofort startet das Gemecker vom Beifahrersitz. Perfekte Momente kann man einfach nicht planen.

Oberhausen: Schon letztes Jahr durften wir nicht auf den Gasometer. Die Feuerwerker mussten aufbauen. Diesmal kommen wir nicht einmal in seine Nähe. Egal, ist ja nicht so, ob es sonst nichts gibt.

Bottrop: Der Bernepark ist eine ehemalige Kläranlage, wobei ihre aktive Zeit noch nicht allzu lange vorbei zu sein scheint. Es stinkt stellenweise. Vor allem am Eingang stinkt es etlichen. Die beiden jungen Damen am Tor halten ganze Busladungen in Schach, da nur eine begrenzte Anzahl an Personen aufs Gelände darf. Atemberaubend argumentiert sich der Navigator an ihnen vorbei und ich folge ihm, in seinen Bann und an meinem T-Shirt gezogen.

Herr Dante möge bitte sein Inferno wegfahren. Es steht in einer Feuerwehrzufahrt.   (c) Navigator

Im zweiten, trocken gelegten, Klärbecken spielen ein Keyborder und ein Schlagzeuger. Attraktion ist Fred Feuersteins Lichtorgel. Junge Damen tanzen mit Fackeln zur Musik, unterstütz von reichlich Feuerwerk und Pyrotechnik. Die Jungs von Rammstein würden feuchte Augen kriegen.

Hinter mir läuft Familienunterhaltung:
Tochter 1: „Mach dich mal klein, ich kann nichts sehen.“
Tochter 2: „Ich sehe auch nichts.“
Tochter 1: „Dann kannst’e dich ja klein machen.“
Der Vater hebt Tochter 1 hoch.
Tochter 1: „Halt mich fest, ich glaube ich falle.“
Vater: „Ich halte dich fest.“
Tochter 1: „Halt mich richtig fest, aber locker. Mama, kannst Du dich hinter Papa stellen, falls der umfällt?“
Mutter: „Warum soll Papa den umfallen?“
Warum finden die beiden Acts nur gleichzeitig statt?

Hattingen: Jetzt ist Schicht. Viertel vor zwei schlagen wir an der Henrichshütte auf. Hier ist das Programm für heute gelaufen. Wir schauen zu dem schwarzen Hochofen hinauf.

Schicht im Schacht  (c) Navigator

Spätestens am 30. Juni geht es weiter. Extraschicht 2012.

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Dienstag, 5. Juli 2011
Und singen Hoya, Hoya, Hoo
Aus der Diaspora
Bremen: Hier gibt es ein magisches Tor. Wer es durchquert lässt die schmutzgrauen Häuser und die Straßen hinter sich und befindet sich inmitten der Natur. Vor einem liegt die Werder, ein Seitenarm der Weser. Und ein nach letzterer benanntes Stadion, in dem der nach erster benannte Verein Fußball spielt. Ich frage, warum man denn nicht lieber Wasserball spielt? „Ach ja, Du hattest es ja nicht so mit Fußball.“ merkt Frau Joel an. Ich raffe meine gesamte Sachkenntnis zusammen und stimme einen Schmähgesang gegen den örtlichen Verein an. Danach ist Fußball kein Gesprächsthema mehr.

Also, eine Weserklinik gibt es ...

Verden: Der Weser folgen wir weiter nach Süden, von vier Windstärken im Rücken vorangetrieben. Irgendwann werden wir ständig (bis mutwillig) von entgegenkommenden Menschen gegrüßt. Von dieser Freundlichkeit verwirrt erwarte ich in jedem Ort ein Empfangskomitee bestehend aus der Feuerwehrkapelle, einer Abordnung des Schützenvereins sowie kniebestrumpften und faltenberockten kleinen Mädchen, die Gedichte aufsagen. Mindestens. Doch es kommt anders. In Verden liegt ein dicker Mann mit Bierflasche und freiem Oberkörper im Fenster und begrüßt uns lautstark. Er bringt den Fußball wieder aufs Tapet und bemerkt, dass die Frauen viel besser als die Männer spielen, die doch alle Versager sind. Außerdem liebt er die Freiheit und arbeitet für den NDR. Wahrscheinlich schirmt die nahe Kirche den Radioempfang ab und er brüllt die Nachrichten durchs Viertel. Ein schönes Wochenende wünscht er auch noch. Als Gentleman reklamiere ich für mich, den Menschen angelockt zu haben.

Wir durchsuchen den Rest der Stadt, finden aber keine weiteren Lichtgestalten dieses Kalibers. Das ist allerdings die geschönte Version. In Wirklichkeit haben wir erst nach intensiver Suche im vierten bis fünften Anlauf den Weg aus Verden hinaus gefunden. Erst als wir uns in unser Schicksal fügen und der Bundesstraße folgen finden wir den nächsten Radwegweiser nach Hoya.

Hoya: Während wir auf einer Bank Brötchen mampfen zieht die Weser träge vorbei. Hoya wurde von dem berühmten Stadtplaner Potemkin entworfen. Zumindest ist es so verlassen, dass wir uns fragen, ob die Häuser überhaupt hohl sind. Am Ende finden wir zwei Radfahrer, die wir ob ihrer komischen Hüte aber nicht der menschlichen Rasse zurechnen. Als der Tacho 75 km anzeigt sind wir mit Hoya fertig. Frau Joel fragt fröhlich was wir, so früh am Tag, denn noch machen wollen. Weiter nach Nienburg? Oder mit dem Rad zurück? Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass ich mich in das „Netz brutaler Radfahrerinnen“ (NBR) verstricke. Scheinbar werden dort nur wahnsinnige Langschläferinnen aufgenommen.

Bääh!

Bücken: Wir haben uns für Rückenwind und Nienburg entschieden. Hinter Bücken tragen die Wegweiser keine Ortsnamen mehr, sondern nur noch lustige Bilder. Über herrliche Wege werden wir wieder nach Bücken geführt. Glücklich nicht wieder in Verden gelandet zu sein, beschließen wir, daß Nienburg total überbewertet wird. Der nächstgelegene Bahnhof ist unser Ziel.

Eystrup: Hinter Bücken setzt Regen ein, der aber erst Ernst macht, als wir bereits in Eystrup sind. Schlimmer ist der Junggesellinenabschied, der mit uns auf den Zug wartet. Der Alkohol führt zu einer existentiellen Verwirrung, sonst würde man nicht zielstrebig das Fahrradabteil okkupieren. Mit Hilfe eines Musters kann ich sie auf ihren Irrtum hinweisen und eine teilweise Räumung der Stellplätze herbeiführen. Als nächstes gerät man mit dem Saftschubser der Bahn aneinander, der auf sein Alkoholverkaufsmonopol besteht. Erst allein, dann mit Unterstützung der Zugführerin. Ich erwarte, daß am nächsten Bahnhof die GSG9 zusteigt. Als die Landkinderverschickung auch noch anfängt zu singen, zitiere ich (unwissentlich) Ludwig Uhland: „Singe, wem Gesang gegeben.“ Dabei wünsche ich mir die heilige Handgranate von Antiochia.

Bremen: Schade, schon vorbei.

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Freitag, 1. Juli 2011
Absolut nicht Sinnfrei
Aus der Diaspora
Bad Brückenau: Da fährt man mal zum Wohl der Firma ins deutschsprachige Ausland, schon wird man in einem uralten Kasten untergebracht. Dieser entpuppt sich allerdings als Teil des Staatsbads Bad Brückenau. Früher gern vom Märchenkönig Ludwig II. besucht, sieht es hier aus wie in Sissi-Barbies Puppenstube. Das Hotel ist sogar teilrosa. Zentrum ist die monumentale Kurhalle, die einem wagnerschen Fiebertraum entsprungen scheint.

... und dann kreutzte, wie einem wagnerschen Fiebertraum entsprungen, die Kurhalle meinen Weg ...

Kaum berühren meine Schuhe die Kieswege verfalle ich in ein entspanntes Schlendern und habe das Bedürfnis über Krankheiten zu sprechen, die ich gar nicht habe.
Das örtliche Fahrradmuseum hat seine Öffnungs- mit meinen Arbeitszeiten synchronisiert und einen Besuch so leider vereitelt. So musste Herbie ran, und tapfer hat er Bayern die Stirn geboten. Entlang der Sinn vorbei an Hinterhöfen von Industriebetrieben und durch Baustellen streife ich den Zuckerguss des Kurortes ab. Und etwas von dem, dass wegen mangelnder charakterlicher Eignung vom Buffet auf meine Hüften wanderte.

In so einem alten Schuppen wird man untergebracht.

Das Hotel erweist sich als weniger alt denn gediegen, und das zu einem Preis, den mancher Landgasthof mit Renovierungsstau locker überbietet,

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Herbie und Lisbeth
Aus der Diaspora
Werl: Wenn man ab einem gewissen Alter morgens aufwacht und es tut nichts weh, dann ist man tot. Als der Wecker heute (Montag) um sechs die Nacht beendet, fühle ich mich sehr lebendig. Die Grundlage dafür wurde vierundzwanzig Stunden früher gelegt. Vor dem Fenster ergoss sich ein prächtiger Landregen. Aus den tiefhängenden grauen Wolken regnete es Bindfäden. Genau das richtige Wetter um mit einem guten Buch den Tag auf der Couch zu verbringen. Ich war zum Radfahren verabredet. Man hatte mich mit Essen geködert, deshalb kam eine Absage nicht in Frage.

Irgendwann hört der Regen schlagartig auf. In den Packtaschen befindet sich alles für den Fall, dass er wiederkommt. Weil ich keinen kompromittierenden braunen Streifen auf der Rückseite haben möchte darf Herbie mit. Der hat Schutzbleche. Der weitere Verlauf wird zeigen, dass bei der Wahl der Waffen mehr Sorgfalt von Nöten ist.

Hach! Wie goldig.

Duisburg: Lisbeth und Herbie wurden einander noch nicht mal vorgestellt und liegen schon miteinander in der Kiste. Wobei Quasimodo sich nur ungern als Kiste bezeichnen lässt. Wir zerren beide aus dem Kofferraum und behängen sie mit diversen Taschen. Bis auf den grünen Cordbeutel. Beim Beladen war er noch da. Und ist es jetzt immer noch. An eine Wand im Herzen des Ruhrgebiets gelehnt. Einsam und verlassen. Pandora veranlasst fernmündlich seine Rettung durch einen Nachbarn. Mit meinem Handy, da ihres in dem grünen Cordbeutel ist.

Nachdem die Katastrophe abgewendet ist verteilen wir meinen Wasservorrat auf beide Räder (ihres ist im grünen Cordbeutel) und rollen los. Heute halte ich mich aus der Navigation raus, da eine langjährige Duisburgerin führt. Etwas nervös vernehme ich: „Das müsste eigentlich da lang gehen.“ Das lässt sich vorab nicht verifizieren, da die Karte im grünen Cordbeutel steckt. Wir versuchen unser Glück und landen wie gewünscht am Rhein. Diesig und wolkenverhangen bildet der Himmel eine trübe Kulisse für die grauen Riesen der Schwerindustrie. So mag ich mein Ruhrgebiet.

Und wo ists eigentlich am Rhein so schön?

Am Rheinufer: Hier werden alle Wünsche eines Mannes erfüllt. So werde ich Zeuge eines anmutigen Ausdruckstanzes, in dem die Protagonistin sich wiegt und windet und den Kampf des Menschen symbolisiert, Sand von den Füßen zu spülen und diese dann zu trocknen, bestrumpfen und beschuhen. Die Kulturhauptstadt 2010 ist in seinen Bewohnern tief verwurzelt.

Später am Tag werden die ursprünglichsten, animalischsten Triebe des Mannes befriedigt. Sanft spielt das Wasser des Rheins mit seinem Ufer, aufgewühlt von Frachtschiffen die ihrem jeweiligen Ziel entgegen streben. Schmutzig graue Industrieanlagen bilden die Kulisse und Autos bollern auf der Straßenbrücke ihr Lied. Wir sitzen auf alten Betonbrocken und essen Kuchen. Was will man mehr?

Und während wir uns durch immer mehr Gegend albern („Sind Vögel die in Durchgängen brüten eigentlich Tornister“ und „Wenn wir das Boot da mit Brötchen bewerfen, ist das dann Das Frühstück der Ruderer?“) kommt die Sonne raus. Der Himmel ist blau und das Gras saftig grün. Ich gebe Pandora meine Kamera, um ein Foto zu machen. Ihre Kamera ist ja im grünen Cordbeutel.

Orsoy: Ich bekomme von einer Frau eine Schiffsreise geschenkt. Damit habe ich meinen Durchbruch als Gigolo des internationalen Jetsets geschafft. Mit diesem Hochgefühl rolle ich am anderen Rheinufer von der Fähre. Später verrechnet sich die Frau von der Happenstube um vierzig Cent zu meinen Gunsten. Beschließe dieses Startkapital in ein Deo zu investieren und eine Karriere als berüchtigter Heiratsschwindler zu starten. Ernte mehr als skeptische Blicke.

Hach! Wie ... Ach ne, hatten wa schon.

Ruhrort: Wo sich die Ruhr in den Rhein ergießt, legen wir eine letzte Rast ein. Nicht (nur) weil ich ein Gentleman bin zahle ich die Getränke. Ich bin halt der einzige, der eine Geldbörse dabei hat. (Erwähnte ich bereits das Malheur um den grünen Cordbeutel? Was aber eigentlich ganz gut war, da sich die Faltaxt und das Handy mit der Kettensägen-App ebenfalls darin befanden. Und damit außerhalb der Reichweite der gerne so genannten Turnbeutelvergesserin.) Die Liegestühle sind viel zu bequem um sich aus ihnen zu erheben. Und zu sperrig um sie unauffällig mit dem Rad zu verschleppen. Schweren Herzens lassen wir sie zurück.

Bissigheim: Wir sind am eigentlichen Ziel angekommen. Nach sechzig Kilometern hocke ich vor den Hamburger Happen und habe das Gefühl, mein Alter wäre identisch mit der Tageskilometerleistung. Und dass diese eindeutig zu niedrig angesetzt ist. Beim Endspurt zum Auto lupft Herbie nochmal frech das Vorderrad. Er könnte noch weiter, bräuchte dazu aber einen Motorwechsel. Pandora und Lisbeth sind dagegen nicht nur frischer verteamt sondern auch sonst frischer. Aber wenigstens caritativ gesinnt. Also mal wieder ein Tag, an dessen Ende ich gebeutelt geschafft aber zufrieden ins Bett fallen konnte.

P.S.: Hatte ich eigentlich schon erzählt, wie ich ein kostspieliges und dringend benötigtes Elektrogerät bei einem norddeutschen Kunden vergaß und dieses nur durch eine Stafette zweier Kollegen rechtzeitig zurück expediert werden konnte?

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